Im Dickicht — Evalie Wagners gefährliche Kunst
Im Anthropozän hat die Manipulation von Flora und Fauna eine neue Dimension erreicht. In einer Zeit, in der das kapitalistische Glücksdiktat allgegenwärtig scheint, wird die Natur wieder vermehrt als Antwort auf eine entfremdete, abstrakt gewordene Welt gelesen. Flora wie Fauna werden als vermeintliche Refugien des Authentischen und Wahren inszeniert. Das gilt für florale Instagram-Postings von Pfingstrosen-Feldern ebenso wie für pastellfarbene, auf ungestrichenes Papier gedruckte Magazine oder aufwändig gestaltete Bildbände über faszinierende Parks und Gärten. Nicht weil wir glauben, dass ein künstlich angelegter Garten unberührt sei, fasziniert er, sondern weil hier eine Kulturlandschaft konstruiert wurde, die mit Wahrhaftigkeit kokettiert und Geheimnisse birgt. Ebenso viele Mythen wie Pflanzen umranken die meisten Gärten. In den seltensten Fällen sind jene Orte, die wir aufsuchen, um die Natur zu genießen natürlich im Sinne von unberührt, authentisch, rein. Gerade in diesem Widerspruch liegt etwas Reizvolles, Betörendes, Geheimnisvolles.
Evalie Wagners Arbeiten stehen in einer langen Tradition botanischer Wahrnehmung und ihrer Kulturgeschichte. Mit ihren Installationen, Zeichnungen und Arrangements und collagenhaften, an Wunderkammern erinnernden Ausstellungen knüpft die Künstlerin an diese schier endlose Geschichte der Faszination der Kunst für die Botanik an. Bezeichnenderweise wählt sie einen Kunstraum im wörtlichen Sinn, um über Dickicht von Natur- und Kulturzustand zu reflektieren. Die Natur als Garten, der Garten als Galerie, die Galerie als Garten. Das Paradies als stets auch trügerischer Ort. Das Glücksversprechen prachtvoller Gewächse, möglicherweise ein gefährliches.
Peter Schernhuber, Direktor Diagonale Graz, 2021
Pflanzen-Räume
Evalie Wagner gelingt in ihren Arbeiten etwas Besonderes: Sie macht Pflanzen sichtbar. Menschen, die durch einen Garten schlendern, nehmen vieles wahr: Sie sehen das Blütenmeer, die Stämme entlang einer Allee, das Grün der Kronen. Manche erhaschen dabei vielleicht sogar eine Ahnung vom Paradies. Die Pflanzen als individuelle Erscheinungen werden dabei oft übersehen – sie verschwinden in der Kulisse.
Bei Evalie Wagner werden die Pflanzen zu Akteuren, sie nehmen Gestalt an und werden zu fassbaren Erscheinungen, die sich einem geradezu physisch aufdrängen. Aus ihrem Kontext herausgelöst, werden die Pflanzenformen in ihren Einzelheiten erkennbar und erfahrbar, Details treten hervor und fordern ein genaues Hinsehen ein. In diesem Moment erhalten die Pflanzen eine Materialität, kommen die Texturen zum Vorschein und treten in Konkurrenz mit den Abziehbildern im Kopf.
Gleichzeitig sind Wagners Pflanzenanordnungen ästhetische Kompositionen, die den Installationsraum transzendieren. Die Aura des Magischen, das Paradiesische, das von Pflanzen ausgeht und die Menschen in die Gärten zieht, bleibt in den Installationen erhalten ... oder wird noch verstärkt. Die Tür zu einem mythischen Raum bleibt offen.
Dr. David Bröderbauer, Botanischer Garten der Universität Wien, 2021
STILL LIVES
„Reizvoll finde ich, wie Wagner mehrere Malereien und Gegenstände miteinander kombiniert – etwa eine ausgestreckte Hand mit Fundstücken, einen Blütenrock und einen Strauß blauer Blumen –, sodass wunderschöne, sinnlich nostalgische Bilderreigen entstehen, die unterschiedliche Deutungen und Interpretationen zulassen. Es bleiben aber fragmentarische Geschichten, nie direkt und offensichtlich sondern stets assoziativ und geheimnisvoll.
Darin liegt schlussendlich die große Kraft einer guten Kunst, nämlich in der Inspiration und im Antrieb aus sich selbst zu schöpfen, aber im künstlerischen Ergebnis über sich selbst hinauszuwachsen und etwas allgemein Grundsätzliches auszudrücken, oft aber auch etwas Rätselhaftes, Unbenennbares in das Bild zu legen, das sich dem sprachlichen Ausdruck entzieht, um damit unseren Blick, unsere Emotionen und unseren Intellekt herauszufordern.“
Günther Oberhollenzer, Kurator der Landesgalerie Niederösterreich, 2016